Wandel von ...



Wandel von Kulturen

Die Praxis reduziert sich nicht auf die menschlichen Individuen und auch nicht auf soziale Rollen und Systeme, sondern immer spielen auch weitere kulturelle Faktoren: Natürliche Ressourcen, Technik und Medien der verschiedensten Art eine Rolle.
Um das Zusammenwirken der Menschen, der Institutionen und Organisationen mit diesen nicht sozialen und auch nicht psychischen Faktoren zu beschreiben und zu gestalten, arbeiten wir mit dem Konzept der kulturellen Praxis.

Die kulturelle Praxis ist also eine Praxis, in der Menschen nur ein Faktor sind. Darüber hinaus gibt es auch Faktoren, die in Rückkopplungsbeziehungen zu den Menschen stehen, ihre Praxis beeinflussen. Der Triadiker empfiehlt auch hier, die Faktoren grundsätzlich auf drei zu begrenzen. Welche weiteren Faktoren hier berücksichtigt werden, hängt von den Zielen jeweils anstehender Praxis ab. Wie bei den Individuen und in soziale Praxis ergibt sich der Wandel aus den drei Faktoren, wichtig ist, welcher der Faktoren prämiert wird.

Einige Beispiel für kulturbildende Faktoren in Organisationen, die wir untersucht haben:
Industriebetriebe: Ökonomie - soziale Beziehungen - Technik
Gartenbaubetriebe: Produktion - natürliche Ressourcen - Vertrieb
Intensivstationen von Universitätskliniken: Forschung - Pflege - Technik
Evangelische Kirche: Verkündigung - Seelsorge - Diakonie
Das Thema der Weltausstellung Expo 2000 in Hannover war eine kulturelle Triade: ‚Mensch, Natur und Technik – Eine neue Welt entsteht‘

Allseits bekannt ist, dass gegenwärtig die digitale Technik und Technologie ein starker Beschleuniger ist, währenddessen immer wieder beklagt wird, dass die Individuen durch die Anforderungen dieser Technologie an ihre Grenzen kommen und in ihrer Freiheit eingeschränkt werden. Wenn man also Institutionen oder deren Subsysteme als kulturelle Systeme betrachtet, dann wird man dem Wandel der konstitutiven technischen Faktoren in der Beratung den notwendigen Raum geben müssen.

Was verstehen wir unter Organisationskultur?

Organisationen werden von ihren Mitgliedern und ihren Beratern als komplexe Phänomene erlebt. Die Komplexität wird entsprechend der Programme, Selbstkonzepte, Werte etc. der jeweiligen Profession reduziert, in der die Berater bzw. Manager und andere Organisationsmitglieder ausgebildet sind. Subsysteme von Organisationen wie Abteilungen oder hierarchische Systeme übernehmen häufig die von den dort tätigen Angehörigen einer Profession, die entweder in großer Anzahl dort vorhanden sind oder die einflussreiche Positionen innehaben, deren Mechanismen der Komplexitätsreduktion.

So fassen Berater mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund ‘Organisationen’ üblicherweise als soziale Systeme auf und rekurrieren dabei selbstverständlich auf soziologische Theorien.
Ein Ökonom in der Controlling-Abteilung eines Betriebes wird die ‘Organisation’ als Wirtschaftssystem begreifen. Die wesentlichen Elemente sind für ihn Zahlen, Kosten und Erträge und weniger soziale Beziehungen und Normen.
Für die Ingenieure eines Produktionsbetriebes andererseits muss die Technik funktionieren, die Abläufe in der Organisation erscheinen ihm als technische Prozesse. Wertschöpfung setzt nach ihrem Verständnis perfekte Technik voraus.

Berater und diejenigen Managementebenen, die tatsächlich steuernden Einfluss nehmen können und wollen, sollten sich nicht von vornherein auf den Standpunkt einer Profession bzw. eines Subsystems der Organisation stellen und von hier aus – pars pro toto – die Prozesse, Strukturen und Umwelten bewerten. Sie vereinfachen damit die Komplexität und Identität der Organisation so stark, dass sich andere Professionen bzw. Abteilungen in ihren Beschreibungen nicht mehr wiederfinden. Dies ist eine beständige Quelle von Konflikten.

Kulturen als Ökosysteme

Es ist kaum nachvollziehbar, warum in der kulturwissenschaftlichen Diskussion, sei es nun zwischen Geisteswissenschaftlern, Praktikern, der Beraterszene oder auch in der Managementtheorie so wenig auf den Kulturbegriff der ökologischen Biologie zurückgegriffen wird.
Ernst Haeckel (1834 – 1919) hatte die Idee einer Wissenschaft von den Beziehungen zwischen den Organismen (Biozön) und zwischen diesen und der unbelebten Umwelt (Biotop). Er nannte sie 1866 ‚Ökologie’. Organismen und Biotop bilden gemeinsam die Ökosysteme.
Seit Haeckel werden in der Biologie Kulturen als Ökosysteme und Ökosysteme als emergentes Produkt der Wechselwirkung artverschiedener Faktoren verstanden.
Mit dem ökologischen Kulturkonzept wird es möglich, Organisationen nicht mehr nur als homogene Einheiten, sondern als Beziehungsgeflecht inhomogener Einheiten zu verstehen.

Die Aufgabe für Management und Betriebe ist es dann,

  • Gleichgewichte herzustellen oder zu stören,
  • einseitige Prämierung einzelner Subsysteme auf ihre aktuelle Funktion, ihre Gefahren und ihren Nutzen hin zu überprüfen.

Jedenfalls reicht es nicht mehr aus, die Sichtweise eines Subsystems bzw. einer Profession einzunehmen. Die damit einhergehende Homogenisierung der Komplexität heterogener Organisationen ist eine Ursache vielfältiger Konflikte und führt jedenfalls dazu, dass die vorhandenen Ressourcen nur ungleichmäßig und nicht in dem möglichen Umfang ausgenutzt werden.

Es wäre auch ein Trugschluss, wenn man bei Kulturbeschreibungen nach Metastandpunkten jenseits aller kulturellen Subsysteme suchte. Dies geschieht ja mit der Absicht, eine für alle Subsysteme gleichermaßen gültige einheitliche Perspektive zu finden. Von dort aus betriebe man dann wieder die gleiche Homogenisierung wie vom Standpunkt eines der schon identifizierten Subsysteme.

Ebenso gefährlich ist eine generelle Festlegung von Rangordnungen zwischen den Subsystemen. Jede einzelne Organisation legt solche Hierarchien selbst fest und ändert sie auch immer wieder. Diese Festlegungen müssen von Beratern und der Unternehmensführung aufmerksam beobachtet und als Daten in Rechnung gestellt werden. Ob sie übernommen und dann gegebenenfalls durch Interventionen bestärkt werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Der Triadische Kulturbegriff


Es geht darum, mit Modellen zu arbeiten, die mehr Komplexität erhalten, die Phänomene aus mehreren Perspektiven zu erfahren erlauben.
Wir schlagen in diesem Sinne vor, Organisationen (auch) als Kulturen aufzufassen, die das emergente Produkt gerade des Zusammenwirkens von artverschiedenen Subsystemen sind.

Und zwar soll, der Grundidee des Triadischen Denkens folgend, jeweils von drei Faktoren ausgegangen werden. Nach unserer Erfahrung können das z.B. bei Produktionsbetrieben Technik, Ökonomie und soziale Beziehungen sein. Weitere Beispiele finden sich in der Einleitung zu diesem Menüpunkt.
Die Organisationskultur dieser Betriebe wird entsprechend durch die Wechselwirkung zwischen z. B. technischen, ökonomischen und sozialen Subsystemen gebildet.

Wir legen Wert darauf, diesen Triadischen Kulturbegriff deutlich von allen einseitig soziologisierenden oder psychologisierenden Kulturmodellen wie sie z.B. von Edgar Schein vertreten werden, abzusetzen.

Michael Giesecke und Kornelia Rappe-Giesecke 2004

Kulturmodelle als Perspektive für die Beratung - von Michael Giesecke


Kulturmodelle als Perspektive für die Beratung

□ Das Konzept der ‚Kulturwissenschaft’ und der ‚Kultur’ bietet die Chance, die im Zuge der Arbeitsteilung getrennten Natur-, Technik-, Sozial- und Geisteswissenschaften wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Dies geht aber nur, wenn Kultur sowohl als natürliches als auch als technischen und soziales Phänomen begriffen wird. In diesem Falle haben die Sozial- und Geisteswissenschaften allerdings auch keinen gegenüber den Naturwissenschaften und den Technikwissenschaften bevorzugten Zugang zur Kultur. Die Kulturwissenschaften sind keine Abteilung der Sozial- und/oder Geisteswissenschaften. Oder anders: Kultur ist kein nur soziales Phänomen, es ist aber kein bloßes mentales Modell. Ohnedies liegt auf allen Ideen der Fluch, mit Materie behaftet zu sein.(Marx)

□ Insbesondere macht es keinen Sinn von ‚Kultur’ (bzw von ‚Kulturwissenschaft’) zu reden, wenn man damit ‚soziale Systeme’(bzw ‚Sozialwissenschaft’) meint – oder keine klaren Unterschiede zwischen sozialen und kulturellen Phänomenen benennen kann.

□ Will man unter Kultur ein integratives, 'mehrdimensionales' Phänomen verstehen – und nur dann scheinen mir kulturwissenschaftliche Anstrengungen sinnvoll - , dann wird man Abschied nehmen müssen von dem Ideal eines homogenen Gegenstandes von Beratung , wie dies für die meisten Beratungsschulen typisch ist. Wir werden es mit Objekten zu tun haben, die ganz unterschiedlicher Art sind, auf unterschiedlichen Ebenen emergieren und wir werden der Versuchung wiederstehen müssen, diese Unterschiede durch die Entwicklung einer Makrotheorie wieder einzuebnen. Eine Spezifik der Kultur liegt darin, dass sie inhomogen ist.

□ Einschlägige Erfahrungen mit den Tücken inhomogener Objekte haben gerade die Berater. Sie sind sowohl mit Menschen als psychischen und leiblichen Wesen als auch mit sozialen Systemen unterschiedlichster Art, mit Technik und mit allerhand weiteren materiellen Medien befasst. Bislang die Sehnsucht nach einem homogenen Modell von Beratung dominiert. Ambivalenzen und Widersprüche werden nicht als solche modelliert, sondern durch Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Beratungskonzepten ‚aufgelöst’. Psychoanalyse stellt die Person in den Mittelpunkt, die Gruppendynamik die Gruppe, die OE soziale Organisationen usf.

□ Erfolgreiche Strategien für den Umgang mit artverschiedenen Objekten (z.B. Natur, menschliche Gesellschaft, Technik) und einem inhomogenen, interdisziplinären wissenschaftlichen Objektbereich hat die Ökologie entwickelt. Ihre Erkenntnisse lassen sich nutzen, wenn man Kulturen als ökologische Netzwerke begreift.

□ Die Spezifik kultureller Informationsverarbeitung und Vernetzung ergibt sich gerade daraus, dass unterschiedliche Typen von Kommunikatoren miteinander vernetzt werden. Die Komplexität unserer Kultur besteht nicht nur in einer Vielfalt in quantitativer Hinsicht (mehr vom Selben), sondern auch in qualitativer Hinsicht: Biogene, psychische, soziale, physikalische u. a. Medien und Systemtypen wirken zusammen.Genau um diesen inhomogenen Charakter gesellschaftlicher Netzwerke auszudrücken, empfiehlt sich der Begriff „Kultur“.

Im Menüpunkt 'Programme der Gestaltung des Wandels von Organisationen' lesen Sie, wie man die drei kulturbildenden Faktoren der jeweiligen Organisation in der Beratung gemeinsam mit den Organisationsmitgliedern rekonstruiert, die derzeitigen Prämierungen der Beteiligten erhebt und anschließend den stattgefundenen Wandel in der Organisationskultur verstehen und den künftigen gestalten kann.

Der folgende Text 'Die drei Grundformen kultureller Prozesse' von Michael Giesecke aus seinem Buch 'Von den Mythen der Buchkultur zu den Visionen der Informationsgesellschaft' über den Medienwandel mit dem Untertitel ‚Trendforschungen zur kulturellen Medienökologie‘, Suhrkamp Verlag 2002, ist eine kurze Darstellung der drei Prozesse der Wandeltriade.
Michael Giesecke hat den Wandel von Gesellschaften untersucht, der durch die Erfindung eines neuen Kommunikationsmediums und neuer Technologien - die Substitution von Handschriften durch den Buchdruck - ausgelöst wurde, vergleichbar unserer heutigen Medienrevolution durch die Digitalisierung, und daraus das Modell des Wandels von Gesellschaften und deren Kulturen entwickelt, das in seiner Grundstruktur so allgemein ist, dass man es auch auf andere Untersuchungsgegenstände wie Organisationen und Personen anwenden kann.

Kapitel 5 'Die Prinzipien einer radikalen ökologischen Mediengeschichte und andere Vorausschaumodelle'
Mythenbuch Kap.5-Die drei Grundformen kultureller Prozesse.pdf

Link zur Website von Michael Giesecke
mythen-der-Buchkultur

Eine Darstellung der Triadentrias des Kulturwandels

Triadentrias-Wandel-Giesecke-bunt.GIF



Die Ebene der Cluster, der Merkmale der Basisfaktoren Revolutionieren, Reformen und Konservieren

In der Triadentrias des Kulturwandelns haben wir die Ebene des Objekts, die Ebene der Basisfaktoren und die darunter liegende der Faktorentriaden. Faktorentriaden kann man nur aufgrund empirischer Studien und für begrenztes Objekt konstruieren, hier für den gesellschaftlichen und kulturellen Wandel durch Medien.
Geht es um ein allgemeineres Wandelmodell, dann ersetzt man die Faktorentriaden durch Cluster, die die zahlreichen und meist noch erweiterbare Anzahl von Merkmalen der Basisfaktoren aufweisen.

Wandel_cluster.jpg


Grundannahmen über den Kulturwandel

Wie sich Voraussagen über den zukünftigen kulturellen Wandel danach unterscheiden lassen, welcher der drei Prozesse von den Autoren jeweils prämiert wird, zeigt diese Tabelle über die Grundannahmen, die man über Wandel haben kann.

wandel_von, id1107, letzte Änderung: 2021-11-08 09:50:33

© 2022 Prof. Dr. phil. habil. Kornelia Rappe-Giesecke